Im Jahr 2003 übernahm die Subkommende Oldenburg des Johanniterordens vom damaligen Diakonischen Werk in Oldenburg die Patenschaft für eine Gemeinde in Lettland. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal genau, wo Lettland und gar Liepaja liegt- und ich wusste nichts von den vielfältigen historischen Verbindungen zwischen Oldenburg und Lettland.
Wenige Wochen später fuhr ich in einer höchst stürmischen Seereise zusammen mit dem Ehepaar Rocksien und mit einem LKW voll mit 5,5 Tonnen Hilfsgütern per Fähre nach Liepaja, wo wir abends um 22 Uhr ziemlich erschöpft und seekrank ankamen. Am Zoll stand ein schlanker, hochgewachsener, etwas linkisch erscheinender freundlicher Mann, der mich herzlich begrüßte und mich mit wenigen Worten an der umständlichen Zoll- und Einreisekontrolle vorbeischleuste – Lettland war noch nicht in der EU und der freundliche Mann zeigte seine Kompetenzen gleich bei der ersten Begegnung, viele Leute in Liepaja kannten ihn und verbanden mit ihm den kirchlichen Bezug.
So lernte ich Pastor Martin Urdze kennen und wir mochten uns sofort. Aus dieser ersten Begegnung resultierten dann in den folgenden Jahren umfangreiche Aktivitäten unserer Subkommende, Hilfstransporte, Geld- und Sachspenden, mehrere Einzel- und drei Gruppenreisen nach Lettland, ich selber war ca. zwanzigmal in Liepaja. Auch durch die Unterstützung der deutschen Kirchen war er in Lettland ein unbequemer Mahner, aber man konnte ihn weder übersehen noch kaltstellen. Mit großer Beharrlichkeit kämpfte er für den Erhalt und die Idee einer diakonisch engagierten Gemeinde und lies sich von Fehlschlägen und massivem Widerstand nicht entmutigen. Auf der Synode in Riga, auf der letztlich die Frauenordination wieder abgeschafft wurde und der zunehmend orthodoxe Kurs der lettischen Amtskirche bestätigt wurde, war seine Stimme und seine Position nicht zu überhören.
Nun ist Martin Urdze am 23. 4.2021 nach kurzer schwerer Erkrankung an einem bösartigen Leiden verstorben und wurde am 1.5. 2021 in Lettland auf dem Friedhof des Asyl Ilgi vor den Toren Liepajas bestattet.
Für die Insassen dieses Asyls, in dem 2003 noch Unruhige, Behinderte, Demente und Sterbende wild durcheinander gewürfelt z.T. wie in einem Gefängnis untergebracht waren, hat er sich stets und energisch eingesetzt und er war auch sehr stolz uns zeigen zu können, wie sich die Verhältnisse 10 Jahre später nach Einsetzen der EU Hilfe sowohl baulich wie auch inhaltlich – für uns schnell erkennbar – grundlegend verbessert hatten. Sein Einsatz für Kranke, Schwache, Behinderte und Benachteiligte in der gesamten Region war unglaublich, er war mutig gegenüber der Obrigkeit seiner Kirche und seines Staates, er sorgte sich weder um seine soziale noch um seine finanzielle Situation, er sorgte sich leider auch nicht um sich selber, er fürchtete sich „sprichwörtlich“ weder vor dem Tod noch vor dem Teufel. Ich habe selten einen so gradlinigen und vom Evangelium überzeugten Menschen kennengelernt.
Wir verdanken ihm und seinem Netzwerk viele Begegnungen und Erfahrungen, kleine Pflegestationen auf dem Land, die wir mit gebrauchten Pflegebetten versorgen konnten, Kontakte zu anderen Kirchengemeinden und Pfarrern in Lettland, Führungen durch das prächtige Riga, mehrfache Kontakte zum Asyl Ilgi und dessen Bewohnerinnen und Bewohnern, eine kurze Andacht an der Gedenkstätte für die ermordeten Juden am Strand von Karosta.
Martin Urdze hat mich wenige Tage vor seinem Tod per Mail über seinen gesundheitlichen Zustand informiert, er war gelassen und positiv gestimmt, wir konnten auch noch einmal miteinander telefonieren.
Die Subkommende Oldenburg des Johanniterordens trauert um einen langjährigen Freund und Partner und hofft, das sein Lebenswerk in Liepaja Bestand haben wird.
Dr. Michael Jonas, Oldenburg